Das Plateau

…und so habe ich meine Freude ausgegossen. Voll kindlicher Begeisterung folgte ich ihrem Fluß, entzückt über die Blüten die sie hervorbrachte. Mit fast belustigtem Staunen bemerkte ich, daß es mir nicht möglich war, ihrem Lauf zu folgen. Ihr irisierendes Leuchten verschwand mit ihr am Horizont. Merkwürdig, die Blumen dörren wohl noch schneller aus, als sie wachsen.

Als die Dunkelheit das Hochland wieder umfing, zog mich dieser blutgleich rote Punkt an, um den zugehörigen Kaktus erkennbar zu machen. Er ist klüger, behält immer ein Reservoir in sich. Es war an der Zeit, bei ihm in die Lehre zu gehen. Das felsige Plateau, das ihm zum Leben reicht, wurde Heimat. Da sitzt nun dieser alte Mann. Manches Mal in die Betrachtung eines Flußbettes vertieft, das nie die Zeit hatte, sich einzugraben.

Von den Wanderern, die von Zeit zu Zeit vorüberkommen, haben viele eine Scheu vor ihm, die sie hoffen läßt, er möge sie nicht bemerken. Die meisten übersieht er sehenderweise. – Und doch. Der Eine oder Andere bleibt eine kurze bis kürzere Zeit, verweilt oder redet. Vereinzelt kommt jemand immer mal wieder, sucht einer Rat und jener Zwiesprache. Der Alte ist mal Orakel mal Banal und meist hört er mehr als gesagt wird. Und gelegentlich wird er gar mit einem Schluck Freude aus der Wegzehrung seines Fremden entlohnt. Ich meine gesehen zu haben, wie er – sich unbeobachtet fühlend – sorgsam mit einem kleinen Kaktus teilte. Des Nachts, wenn die Sternenlosigkeit das Zwielicht zu verdunkeln sucht, blüht dieses Ding auf; strahlender und schöner als es die versteinerten Rosen ein Stück weiter unten je vermochten.

Wenn der Einsiedel sich allein weiß, breitet sich dann und wann ein leises Lächeln mit zartem Leuchten um ihn. Und in jenen Morgenstunden, in denen sich dieser kleine warme Stern am Firmament zeigt, meine ich das Aufleuchten einer ganz eigenen Aura zu erkennen.

Sein Alter ist seine Jugend, sein Zeitverständnis macht ihn wohl unsterblich.
Trotz dieser Last scheint er mir so seltsam leicht.

Wenn ich keinen Weg mehr kenne, suche ich sein Plateau; finde es meist. Und immer ist er da, bereit mit mir im Selbstgespräch zu verharren – wie auch im Schweigen.

Ich liebe Ihn   —   und damit dieses Leben.

1993
© loki

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